„Stoppt das Töten in der Ukraine“
Worte von Christof Starke für den Friedenskreis Halle e.V. bei der Kundgebung am 24.02.2023 in Halle
In Folge des Angriffs der russischen Armee auf die Ukraine leiden und sterben seit einem Jahr unzählige Menschen, Kinder, Alte, Mütter und Väter, Verwandte, Nachbarn… einfache Menschen wie Sie und ich und auch eine bisher unbekannte Zahl von Soldat:innen. Es sind Millionen Menschen vertrieben und auf der Flucht. Es sind Lebensperspektiven zerstört. Es wurden schreckliche Verbrechen begangen…
Wir erleben seit 365 Tagen die unmenschliche Realität eines Krieges mitten in Europa.
Vor einem Jahr standen wir in Halle erschrocken über den Angriff gemeinsam mit Menschen aus der Ukraine auf dem Marktplatz.
Meine Worte damals sind, wie meine Worte heute, kurzfristig unter dem Eindruck der Situation und aktuellen Nachrichten entstanden. Sie sind von vielen Gefühlen geprägt: Erschrecken, Trauer und Angst, doch zugleich auch dem Willen, der Gewalt weiterhin Hoffnung und Engagement entgegen zusetzen.
Als Friedenskreis haben wir in diesem Jahr, nach der Kundgebung am 24.2.22, anfänglich täglich, in den letzten Monaten einmal in der Woche Mahnwache gehalten. Wie viele andere Organisationen und spontane Initiativen haben wir die Hilfe und Aufnahme von Geflüchteten unterstützt, Spenden für Partnerorganisationen in der Ukraine gesammelt, eine Veranstaltungsreihe und eine Ausstellungsreihe organisiert, an Texten und Aufrufen mitgearbeitet und mit vielen Menschen geredet.
Denn dieser Krieg und auch alle anderen 30 Kriege in der Welt dürfen nicht als Normalität hingenommen werden.
Heute hier, bei unserer Kundgebung im Rahmen der bundesweiten Aktionstage „Stoppt das Töten in der Ukraine“, möchte ich zwei Aspekte hervorheben: erstens die weiterhin wichtige Solidarität mit dem Menschen in der Ukraine und den Menschen im Widerstand gegen diesen Krieg und zweitens die Notwendigkeit der friedenspolitischen Perspektiverweiterung in den die aktuellen Debatten um den Krieg.
Als Ausgangspunkt gilt es immer wieder ganz deutlich zu benennen:
Der Angriff vom 24.2.2022 hat eine längere Vorgeschichte und komplexe Hintergründe. Doch dieser Angriffskrieg der russischen Armee ist durch nichts zu legitimieren und ganz eindeutig zu verurteilen. Unsere grundlegende, gemeinsam im bundesweiten Aufruf aufgestellte Forderung lautet daher: „Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine“.
Wir sind daher solidarisch mit den von diesem Krieg direkt betroffen Menschen in der Ukraine. Ihre Stimmen und Perspektiven müssen wir wahrnehmen und respektieren. Mir ist es daher sehr wichtig zu betonen, dass unsere Beteiligung an der Aktion „Stoppt das Töten in der Ukraine“ heute hier mit diesem Stand an der Ulrichskirche keine Gegenveranstaltung zur parallel auf dem Markt stattfindenden Kundgebung von ukrainischen Vereinen ist. Leider sind wir zu spät über unsere Pläne für Aktionen an diesem Tag in Kontakt gekommen.
Zukünftig wollen und werden wir wieder besser zusammenarbeiten. Sicher gibt es dabei unterschiedliche Positionen und Perspektiven – doch eint uns der Wille und die Hoffnung auf einen baldigen Frieden für eine selbstbestimmte Ukraine und ihre Menschen. Daher, schön dass Sie hier zu unserer Aktion und kleinen Kundegebung gekommen sind – doch gehen Sie als Zeichen der Solidarität auch zur Kundgebung auf dem Marktplatz, hören sie die Worte und Perspektiven der Menschen auch dort. Der eben hier gesprochene Wortbeitrag der Vertreterin von Fridays for future Ukraine war für viele von uns sicher an vielen Stellen nicht so leicht zu hören. Doch das macht ihn als authentische Stimme um so mutiger und wichtiger.
Wir dürfen in der solidarischen Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine nicht nachlassen und müssen uns allen, die diesen Schutz und die Unterstützung in Frage stellen, deutlich entgegen stellen.
Wir als Friedensorganisation, gegründet unter anderem von Kriegsdienstverweigerern 1990, unterstützen insbesondere auch alle Menschen, die sich diesem Krieg gewaltfrei entgegen stellen. Deserteure, gleich aus welcher Armee, haben Anrecht auf politisches Asyl!
Wir sind auch solidarisch mit den Menschen in Russland, die sich dem Krieg entgegen stellen. Die Ausstellung "Stimmen des zivilen Ungehorsams in Russland gegen Krieg & Mobilisierung“ mit beeindruckende Kunstwerken von russischen Künstler:innen, hat uns gezeigt, dass es auch diesen Widerspruch zum Krieg nach wie vor gibt. Dies sollten wir nicht vergessen und diesen so wichtigen Stimmen aus Russland weiter Gehör geben. Die Ausstellung ist nach der ersten Präsentation im Januar ab heute in der Marktkirche zu sehen.
Den zweiten Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die aktuell auf Waffenlieferungen fokussierte Debatte. Ja, die Ukraine als souveräner Staat hat das Recht zur Verteidigung. Und dafür nutzt und braucht sie Waffen. Das fällt mir als Pazifist und Vertreter einer Friedensorganisation schwer auszusprechen, denn Waffen bedeuten Tod und Zerstörung, Waffen bedeuten Fortsetzung des Kriegs mit der Gefahr der weiteren Eskalation, Waffen verschlingen kostbare Ressourcen und sehr viel Geld, verursachen unglaublich hohe Schäden an Umwelt und Klima. Mit Waffen wird Geld verdient und Profit gemacht. Dieses ethische Dilemma ist aktuell bittere Realität. Hier muss jeder und jede persönlich eine Position abwägen. Wir kommen nicht umhin, diese Spannung auszuhalten. Doch sollten wir uns davon nicht lähmen und gefangen nehmen lassen.
Ob es mehr und welche Waffen es zur Verteidigung braucht, ob diese auch aus Deutschland geliefert werden müssen, sind militärtechnische Fragen, die ich nicht beantworten kann und entscheiden muss.
Als Vertreter einer Friedensorganisation und Pazifist möchte ich die Perspektive erweitern und über die aktuell verengte Debatte hinaus friedenspolitisch denken, diskutieren und Forderungen stellen.
Denn es ist ganz klar, Waffen schaffen keinen nachhaltigen und gerechten Frieden. Die bestehenden militärischen Ressourcen, Bündnisse und Denkmuster haben bisher auch keinen Krieg verhindert. Sie sind viel mehr Teil der Ursache für die gewaltsame Konflikteskalation. Daher sollte unabhängig von der aktuellen Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine weiter die friedenspolitischen Ziel lauten: Keine Rüstungsexporte in Krisen und Kriegsregionen. Keine Aufrüstung der Bundeswehr. Keine Waffenexporte an sogenannte verbündetet Staaten.
Mehr Waffen können auch weiterhin nicht die Antwort auf all die akuten Konflikte und Krisen auf der Welt sein. Ein neuer hochgerüsteter Kalter Krieg kann nicht die Perspektive für Europa sein. Als Weltgemeinschaft müssen wir neue Wege für eine Friedensordnung finden. Jeder einzelne Konflikt braucht spezifische Prozesse der Bearbeitung. Dafür gilt es Ressourcen und Geld einzusetzen und nicht ein Mehr an Militär und Rüstungsgüter sowie alte Konzepte der Abschreckung.
Ja, lasst uns eine zivile Zeitenwende der Transformation von militärischer Sicherheitslogik hin zu einer friedenslogischen Zukunft gerade jetzt angesichts dieses und der 30 weiteren nicht verhinderten Kriege angehen und konkret beginnen. Lasst uns in die Entwicklung von Konzepten der nicht militärischen, der sozialen Verteidigung, in die Erforschung und Anwendung von zivilen gewaltfreien Methoden der Konfliktbearbeitung, in neue Weg der internationalen Zusammenarbeit, in eine Reform der Strukturen der UN und vieles mehr investieren …
Und lasst uns dabei den Blick über den deutschen Tellerrand und den Blick in die Welt nicht vergessen. Der Krieg hat nicht nur Auswirkung auf unsere Energiekosten. Bei unserer Veranstaltungsreihe „Krieg in der Ukraine und europäische Zukunft“ haben wir eindrücklich gehört: für Menschen in Südosteuropa bedeutet der Ukrainekrieg die reale Gefahr des Wiederausbruchs der Kriege von vor 30 Jahren. Mit der verhinderten schnellen internationalen Hilfe für die Opfer des Erdbebens in Syrien, ist uns sehr schmerzlich das Gesicht des mit Russland verbundenen unmenschlichen Regimes im Syrien vor Augen geführt worden. Im globalen Süden verarmen und verhungern Menschen in Folge der durch den Ukrainekrieg verursachten Lebensmittelknappheit und der Verteuerung von lebensnotwendigen Gütern auf den Weltmärkten.
Vielleicht fragen Sie sich jetzt: . Das ist ja alles ganz gut und schön – doch was hilft das konkret im grausamen Krieg den Menschen in der Ukraine? Was hilft langfristig angelegte Friedensarbeit gegen die aktuelle imperialistische Politik der russischen Regierung unter Präsident Putin?
Ich habe dazu leider auch keine Patentrezepte – doch sollten wir jedes sich bietende Möglichkeitsfenster zur Verständigung, Deeskalation und gewaltfreien Veränderung nutzen.
Friedenspläne gleich ob von Italien, Brasilien oder aktuell von China aufgestellt, sollten ernst genommen und nicht reflexartig abgeschmettert werden. Die erfolgreichen Verhandlungen über die Weizenexporte im letzten Sommer haben gezeigt, dass im Konkreten Verständigungen möglich sind. Die Konfliktforschung lehrt uns, dass in hoch eskalierten Konflikten am Anfang der Verständigung nicht die grundsätzlichen Fragen verhandelt werden können. Doch mit Unterstützung neutraler Dritter lassen sich konkret Schritte wie lokale Waffenstillstände, Gefangenenaustausche, Korridore für humanitäre Hilfe als ganz praktische Dinge erreichen. Diese retten ganz konkret Leben und können erste Schritte auf dem Weg zu einem umfassenden Waffenstillstand, der Beendigung des Kriegs und der Arbeit an längerfristigen Friedensperspektiven sein.
Lassen Sie uns auf das Motto der Aktionstage die Friedensperspektive bauen: „Stoppt das Töten in der Ukraine – für Waffenstillstand und Verhandlungen!“
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und herzliche Einladung mit uns an den Ständen heute und bei zukünftigen Aktionen und Veranstaltungen weiter im Gespräch zu sein.