Dritter Dreimonatsbericht Florian Herm

Es ist erhellend wie ich meinen Lebensraum entdecken kann, wenn ich mal aus einer anderen Perspektive schaue.

Seit schon ziemlich langer Zeit lebe ich jetzt schon in Dresden. Ich kenne die Straßen, die ich jeden Tag mit dem Fahrrad, zu Fuß oder mit dem Öffi benutze. Aber genauso wie sie mir vertraut sind, genauso gibt es auch Stellen, die mir bisher noch unbekannt waren - besondere Ecken, von deren Existenz ich bis vor kurzem gar nichts wusste. Nicht, dass ich sie nicht gesehen hätte. Sie sind mir bloß nicht aufgefallen.


Ich denke, das liegt an der Art und Weise, wie ich beobachte und an meinem Erfahrungshintergrund, der bestimmt, was ich für wichtig halte. Hätte ich nicht das letzte Halbe Jahr in einem Permakulturprojekt wie in Boževce verbracht, wäre mir zum Beispiel die Gärtnerei zwei Straßen weiter gar nicht so sehr aufgefallen. Sicher, ich wusste, dass sie existiert. Aber sie interessierte mich nicht besonders, bevor ich nach ihr gesucht habe. Nach meiner Rückkehr aus dem Kosovo im März diesen Jahres fühlte ich mich dazu verleitet, nach Plätzen zum Gärtnern und vielleicht sogar etwas mit Bezug zur Permakultur in Dresden zu suchen. Anstatt mithilfe von Google-Standorten durchs World Wide Web zu stromern, habe ich mich erinnert, was ich einige Monate zuvor gesehen hatte.


An einer eher ruhigen und unbeachteten Straße im Stadtteil Pieschen liegt ein grünes Grundstück voll von Pflanzen. Eine hölzerne Eingangstür wird von einem Schild gekrönt, dessen Buchstaben aus Brettern den Namen dieses Ortes verraten: „Wurzelwerk“.

Dies ist einer der Gemeinschaftsgärten der Stadt. Ich hatte von dem Konzept gehört und wusste, dass einige solcher Projekte auch in Dresden existieren. Die Idee ist, dass Leute aus der Nachbarschaft sich ein Grundstück teilen, um dort zu gärtnern, gemeinsam zu kochen, um Wissen auszutauschen oder einfach Zeit miteinander zu verbringen. Menschen allen Alters nehmen Teil, jede*r von ihnen bekommt einen Platz im Garten und häufig teilen sie sich auch größere Beete. Diese Gemeinschaften sind kleine grüne Inseln die das Leben näher zu uns armen geschlauchten Stadtmenschen bringen.

Aber in diesem Beispiel ist der Gemeinschaftsgarten nur einer von zwei Teilen. Das Grundstück gehörte einmal einer Gärtnerei, die in den 1880er Jahren gegründet worden ist. In dieser Zeit waren die umliegenden Wohnhäuser noch nicht gebaut, und die Gärtnerei lag ziemlich am Rande der Stadt. In den nächsten ca. 100 Jahren wurde hier verschiedenes Gemüse (vor allem Gurken) für den Verkauf an die Anwohnerschaft angebaut. Im Haus zur Straße hin lebte das Ehepaar, welchem die Gärtnerei gehörte. In den 90er Jahren verstarb der Ehemann und seine Frau konnte die große Menge an Arbeit alleine nicht mehr stemmen. Im gleichen Zuge war das Konzept von kleinen Gärtnereien in Stadtnähe zur Lebensmittelproduktion nicht mehr zeitgemäß. Heute sind von den vielen Gewächshäusern und Folientunneln auf dem Gelände nur noch zwei in Benutzung – der Rest ist verlassen, mit teils zerbrochenen Scheiben und Bäumen, die aus dem Innern über die Dächer hinaus wachsen.

Diese Geschichte erzählte mir die alte Dame, der die Gärtnerei gehört und die noch immer in demselben Haus wohnt. Ich habe gut zugehört, während ich versuchte, eine paar Johannisbeeren von widerspenstigem Unkraut zu befreien. Johannisbeeren? Hatte ich nicht gesagt, das Gelände sei ungenutzt?

Wenn man das hölzerne Eingangstor an einem Tag wie heute durchschreitet kann man lange Reihen von Obstbäumen und Beerensträuchern sehen. Dazwischen liegen gemulchte Pfade und in der Mitte des Grundstücks ein Container. Linker Hand befindet sich der Gemeinschaftsgarten „Wurzelwerk“. Der Ort ist in der Tat genutzt. Auf den alten Gemüsefeldern entwickelt sich ein neues Projekt. Es wurde vor zwei Jahren vom Dresdner Verein UFER e.V. gegründet und ist eine Gärtnerei für Bäume, Sträucher und mehrjährige Stauden. Die Obstbäume sind noch klein, aber in ein paar Jahren soll hier ein Lernort entstehen, an dem Besucher*innen sagen können: Interessant, ich wusste gar nicht, dass diese Pflanze hier überhaupt wächst...

Hier also arbeite ich jetzt. Ich habe die Möglichkeit bekommen, meinen Freiwilligendienst in Dresden bis Ende August fortzuführen, weil das ja gerade im Kosovo nicht möglich ist. Ich helfe hier an verschiedenen Stellen mit, jäte Unkraut, mulche die Wege und bin beim Ausbau des Containers dabei, in den eine Gemeinschaftsküche kommen soll. Und ich lerne viel über die Möglichkeiten, was aus einem fast vergessenen Grund werden kann. Es ist also gut, seine Augen offen zu halten.

 

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