Über ein anderes Bauen - Florian

Normalerweise, wenn ich mit dem Fahrrad durch die Stadt radle, sehe ich links und rechts das stete
Wachstum neuer Häuser und Wohnungen. Tag für Tag werden weitere Schichten an Stein und
Zement aufeinander gepackt, werden Stahlskelette mit Beton verkleidet und ganze Stockwerke per
Kran durch die Luft geschwenkt. Nicht einmal ein halbes Jahr dauert es, bis aus dem eben noch
brach liegenden Nachbargrundstück ein Ort zum Wohnen, Leben, Arbeiten geworden ist. Was
auffällt, ist die Rechtwinkligkeit, das Symmetrische und Akkurate, das den Baustil bestimmt. Dank
Betonblock und Fertigbauteilen gelingt die perfekte Häuserecke in wenigen Stunden, passt der
Estrich haargenau und – gleicht ein Haus dem anderen. Wie Schuhschachteln reihen sich grau-,
beige- und mokkafarbene Neubauten aneinander, und wie ich so an ihnen vorbeistrample stellt sich
mir die Frage: Wie lange wird es wohl so bleiben? Wie lange bleibt die Fassade glatt, stimmt der
Winkel unterm Fenster und bleibt die Dachkante ungebrochen? Wann werden Wetter, Sturm und
Hagel an den Kanten nagen? Wann treibt der Schimmel in den Ecken?

Doch da gerade nun mal nicht normalerweise ist, sitze ich in einem anderen Haus. Die Fassade ist
erdfarben und uneben, die Ecken rund und ein rechter Winkel nirgends zu entdecken. Hier und da
piekst ein Strohhalm aus der Wand, ist ein Handabdruck zu entdecken oder erinnert eine Beule an
den Kopf eines Maulwurfs. Es ist ein Haus, gebaut aus Lehm, Sand, Stroh und Holz. Natural
Building nennt sich das. Wobei das nicht ganz stimmt; den Grundstock bildet eben eines dieser
Fertigziegelhäuser mit Betondecke, die nicht atmen können und deren Wände nackt und kalt
erscheinen. In einem solchen Haus pfeift der Wind durch die Löcher und bleibt der Winter kalt.
Deshalb haben sich die Menschen hier dazu schlossen, ihm eine Hülle zu geben, eine Isolations-
Schicht aus den Materialien, die das Umfeld gerade bietet. Und das ist hier in Bozevce nun mal die
sehr lehmhaltige Erde und das Stroh, welches die Nachbarschaft von den Feldern holt. Aus
wertlosen und allseits verfügbaren Rohstoffen wird ein Raum zum Wohnen und ein gesunder noch
dazu. Denn die Schicht aus Holzgestell, Stohballen und einem Lehm-Stroh-Verputz kommt ohne
toxischem Bindemittel, plastikhaltigem Styropor oder Anti-Schimmel-Latexfarbe aus. Es fühlt sich
eigentlich wie in einer Höhle aus Erde an. Ein gutes Gefühl, auch wenn man mit etwas Dreck in den
Ecken leben muss.
Natural Building wird oft als eine Art des Bauens mit vollem Körpereinsatz beschrieben. Embodied
Energy steht dabei als Begriff für die vielen Stunden an physischer Arbeit, die jeder und jede
Einzelne in den Bau hineinsteckt. Denn Zeit braucht es. Der Körpereinsatz war für mich persönlich
vor allem an den Händen zu spüren, mit denen wir das Material Schicht für Schicht an die Fassade
brachten. Wer hätte gedacht, dass Stroh so gemein und aggressiv in die Haut pieksten kann und dass
das Wort Sandpapier tatsächlich von Sand kommt. Doch durch diese Erfahrung baut sich zwischen
Arbeitskraft und Haus eine persönliche Beziehung auf. Es ist nicht nur: Dieses Stück Wand habe ich
gemacht!, sondern ich kann mich zurückerinnern, wie es entstanden ist und was ich aufgebracht
habe. Und ich weiß nun, wie es geht, was ich bei einem normalen Neubau nicht gerade behaupten
kann. Somit spielt bei Natural Building auch der Aspekt des Selbermachens und des sich selbst
Ermächtigens eine Rolle. Und es ist erstaunlich, welche Vielseitigkeit ein solches Haus zeigt. Die
Typen derer, die daran gearbeitet haben, zeigen sich in den vielen kleinen Unebenheiten und
Macken an der Wand und geben ihr ein Gesicht.
Besonders wichtig erscheint mir aber Folgendes: Das Haus, in dem ich gerade sitze, wird bleiben.
Es wurde gebaut, um dem Wetter zu trotzen, der Wind wird an seinen Rundungen vorbeirauschen
und der Schimmel dank der atmungsfähigen Isolation ausbleiben. Und wenn nicht? Dann geht der
Lehm zurück zum Boden und das Stroh zurück zum Feld.

 

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