Magdeburger Friedensmanifest 2017


Eine Flugschrift vom Kirchentag auf dem Weg zum Reformationsjubiläum an deren Erarbeitung der Friedenskreis Halle e.V. aktiv beteiligt war.  

Präambel
Der Ruf Jesu „Wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen“ (Mt 26,52) ist eine generelle Absage an Gewalt ohne Wenn und Aber.
Der Ruf Jesu „Selig sind, die Frieden stiften“ ist Gottes Zusage für ein Leben in Fülle und weist den Weg zu Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit und einer Gemeinschaft, die dem Leben dient.
Im Angesicht der vielen Opfer von Gewalt bejaht die EKD (Friedensdenkschrift 2007) jedoch den Einsatz von „rechtserhaltende Gewalt“ als Ultima Ratio.
In der Nachfolge Jesu ist Gewalt niemals Option im Umgang mit andren. Kein Zweck heiligt dieses Mittel. Darum werben zahlreiche lokale Friedensinitiativen wie die historischen Friedenskirchen dafür, in der Nachfolge Jesu den Weg der aktiven Gewaltlosigkeit zu beschreiten. Zusammen mit ihnen erheben wir mit diesem Manifest unsere Stimme, bekennen und fordern:


These 1: Pazifismus
Das Bekenntnis zu Jesus Christus beinhaltet den konsequenten Verzicht auf Gewalt und den Einsatz für eine Kultur der Gewaltfreiheit. Die pazifistische Friedenstheologie ist von unschätzbarem Wert für eine Zukunft des gewaltfreien Zusammenlebens in unserem Land und der Welt. Eine eindeutige friedensethische Positionierung für aktive Gewaltfreiheit ist die Stimme, die von der Kirche in unserer Gesellschaft gebraucht wird. Der christliche Pazifismus fordert jeden und jede Einzelne sowie die gesamte Kirche heraus, andere Formen der Konfliktlösung und des eigenen praktischen Friedenshandelns zu suchen.

These 2: Zivile Konfliktbearbeitung politisch
Politische Konflikte können nicht militärisch gelöst werden. Es geht um einen Paradigmenwechsel weg vom Vertrauen auf militärische Stärke, Abschreckung und Abschottung hin zu einer krisenpräventiven, friedens- und gerechtigkeitsfördernden Politik, die zivilen Ansätzen eindeutig Vorrang einräumt. Nur ein konsequenter Ausstieg aus der Spirale von Gewalt und Gegengewalt schafft Frieden. Das beinhaltet auch ein alternatives Konzept von Sicherheit. Friedenslogik statt militärischer Sicherheitslogik soll das Leitbild der EKD prägen. Deren Konkretisierung, Entfaltung und Einübung im gesellschaftlichen Leben und auf internationaler Ebene sind einzufordern und die dafür notwendigen Mittel aus dem Militärhaushalt umzuschichten.

These 3: Verhältnis von Kirche und Militär
Wir rufen die Landeskirchen auf, sich als Kirchen des gerechten Friedens ausschließlich für gewaltfreie Wege der Konfliktbearbeitung einzusetzen. Daraus folgt: Die Kirche empfiehlt ihren Mitgliedern weder beim Militär noch in der Rüstungsindustrie zu arbeiten. In den Kirchen dürfen keine Militärkonzerte stattfinden. Die Militärseelsorge in der Bundeswehr wird abgeschafft und durch eine Seelsorge für Soldat*innen, die strukturell außerhalb der Bundeswehr verortet ist, ersetzt. Die Gesprächsbereitschaft der Kirchen für Soldat*innen, die sich kritisch mit ihrem Dienst auseinandersetzen, bleibt bestehen. Die Kirche ruft eine Dekade zur Überwindung militärischer Gewalt aus, um einen Militärausstieg voranzutreiben, für den sie selber Szenarien entwickelt.

These 4: Rekrutierung Jugendlicher
Die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen verbietet die Rekrutierung Minderjähriger. In Deutschland findet aktuell die Werbung unter Minderjährigen für den Dienst beim Militär im Rahmen von Bildungsveranstaltungen auch in Schulen statt. Gefahren in internationalen Kriegseinsätzen und Kampfhandlungen, die Versorgung Verwundeter bzw. Hinterbliebener sind nicht Gegenstand der Werbekampagnen. Wir fordern den Stopp jeglicher Werbemaßnahmen, die sich an Jugendliche richten, und den Stopp öffentlicher Werbung der Bundeswehr als „normale“ Arbeitgeberin.

These 5: Rüstung
Auf deutschem Boden wird täglich Krieg geübt, zum Beispiel in der Colbitz-Letzlinger Heide bei Magdeburg in einem der größten Ausbildungs- und Übungszentren für Bundeswehr und NATO-Armeen. Von deutschem Boden geht täglich Krieg aus, weil deutsche Waffen in den Brandherden der Welt im Einsatz sind.
Wir fordern, dass die Institution „Krieg“ geächtet und unter Strafe gestellt wird wie Sklaverei und Folter. Als erster Schritt dahin ist bei Kriegswaffenproduktion, Rüstungsexporten und Aufrüstung Transparenz über Entscheidungen des Bundessicherheitsrates herzustellen. Rüstungsproduktion und Rüstungsexporte sind einzustellen und Rüstungskonversion durch politische Regelungen auf den Weg zu bringen.

These 6: Atomwaffen
Atomwaffen sind Massenvernichtungswaffen und gehören wie B- und C-Waffen geächtet. Auch auf deutschem Boden lagern nach wie vor Atomwaffen. Deutschland beteiligt sich nicht an den Verhandlungen zum Verbot von Atomwaffen, und die nukleare Aufrüstung nimmt zu. Kirche darf dazu nicht schweigen, sondern muss laut ihre Stimme erheben.
Deshalb setzen sich Christ*innen und Kirchen in der Bundesrepublik auf all ihren Ebenen und mit all ihrer Kraft dafür ein, Atomwaffen abzuschaffen. Sie wenden sich insbesondere an die Bundesregierung, sich an den Verhandlungen zur Abschaffung der Atomwaffen zu beteiligen.

These 7: Umgang mit menschenverachtenden Haltungen
Frieden erfordert eine Streitkultur, die Unterschiede aushält, Spannungen erträgt, den Dialog sucht, Versöhnung moderiert und begleitet und sich dennoch eindeutig gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung positioniert. Um aktiv gegen Menschen- und Religionsverachtung vorzugehen, tritt die Kirche in den partnerschaftlichen und friedenssuchenden Dialog mit anderen Religionsgemeinschaften und Weltanschauungen.

These 8: Zivile Konfliktbearbeitung in der Kirche
Im Alltag der Kirche und in den kirchlichen Ausbildungen spielt die gewaltfreie, konstruktive Konfliktbearbeitung eine minimale bis gar keine Rolle. Auch in Kirchengemeinden wird das Erlernen konstruktiver Konfliktbearbeitung der und dem Einzelnen überlassen. Das Analysieren und Erkennen struktureller Gewalt auch in der Kirche sowie die Fertigkeiten der gewaltfreien Konfliktbearbeitung müssen deshalb zum Profil aller Haupt- und Ehrenamtlichen von Kirche und Diakonie gehören. Wir fordern, dass alle Landeskirchen entsprechende Inhalte in ihre Ausbildungen integrieren, darüber hinaus Weiterqualifikationen auch für Ehrenamtliche anbieten, dass in die Visitationsordnung die Frage nach dem Umgang mit Konflikten verbindlich aufgenommen wird und kirchliche Mediationsstellen eingerichtet werden für alle Felder kirchlicher Arbeit

These 9: Globalisierung und Verteilungsgerechtigkeit
Der Horizont des Evangeliums ist immer die Eine Welt, nie nur ein Erdteil oder gar nur ein Land, ein Volk, ein Geschlecht, eine Religion. Deswegen müssen Politik und Wirtschaft immer gemessen werden an der Frage nach der Gerechtigkeit in der Einen Welt. Kirche erkennt nicht nur die Auswirkungen von Krieg, Gewalt und Flucht, sondern fragt nach deren Ursachen. Verteilungsungerechtigkeit, globale, diskriminierende Wirtschaftsstrukturen und Machtverhältnisse, die die Menschenwürde missachten, führen zu Armut, Verelendung und Gewalt. Wir treten dafür ein, diese Ursachen zu bekämpfen durch faire Handelsbeziehungen, fairen Lohn, einen ausreichenden Lebensunterhalt für alle Menschen, einen wertschätzenden Umgang mit Ressourcen und kostenlose Bildung für alle.

Schluss
Die Gewaltfreiheit ist zentraler Bestandteil der Botschaft Christi. Als Kirche Jesu Christi leiden wir an eigener Schuld und Verstrickung in Unrecht und Gewalt. Deshalb bekennen wir:
Um Jesus auf seinem Weg nachzufolgen, verzichten wir als Christ*innen auf Gewalt in allen Lebensbereichen, sei sie offen oder verdeckt. Wir sind bereit bei Auseinandersetzungen Widerstand gewaltfrei zu üben und eigene Opfer zu bringen. Wir denken und handeln friedenslogisch „inklusiv“ und suchen das globale Gemeinwohl. Nachhaltiger Frieden ist nur mit sozialer Gerechtigkeit, Partizipation, Demokratie und einem umfassenden Menschenrechtsschutz zu erreichen. Wir versuchen heute schon nach den Grundsätzen einer zukünftigen Friedensordnung zu leben, auch wenn ihre Verwirklichung noch aussteht. Ohne Hoffnung gibt es keine Veränderung in Richtung auf Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.


Mitwirkende und Unterstützer:

Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK)
Aktionsgemeinschaft Dienste für den Frieden e.V. (AGDF)
Forum Friedenethik in der Evangelischen Landeskirche in Baden (FFE)
Friedenskreis Halle e.V.
Internationaler Versöhnungsbund – Regionalgruppe Magdeburg
Plattform Zivile Konfliktbearbeitung e.V. „Projekt Friedenslogik weiterdenken“
Ökumenisches Netz in Deutschland (ÖNiD)

Ralf Becker, Wethen
Werner Bradenial, Hamburg
Dr, Matthias W. und Beate Engelke, Venlo
Ulrich Frey, Bad Honnef
Dr. Juliane Fuchs, Bamberg
Pfarrerin Eva Hadem, Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland
Felix Klinger, Bühl
Julika Koch, Referentin für Friedensbildung in der Ev.-luth. Kirche in Norddeutschland
Stefan Maaß, Friedensbeauftragter der Evangelischen Landeskirche in Baden
Christoph Maercker, Magdeburg
Domprediger i.R. Giselher Quast, Magdeburg
Agnes Sander, Friedenbildungsreferentin, Halle
Otmar Steinbicker, Aachen


So ist dieses Manifest entstanden:
Im Vorfeld zum Kirchentag auf dem Weg in Magdeburg (25. – 28. Mai 2017) hat das Planungsteam der Friedenswerkstatt im Zentrum Friedens bundesweit um die Zusendung mutiger und radikaler Thesen für den Frieden gebeten.
Aus den eingegangenen Thesen wurde ein Entwurf für ein Magdeburger Manifest erstellt.
Dieser Entwurf wurde im Rahmen der Friedenswerkstatt beim Magdeburger Kirchentag zwei Tage lang diskutiert und bearbeitet.
Das vorliegende Manifest ist das Endergebnis dieser Arbeit.

Das wünschen wir uns:
Wir verstehen das Manifest als Diskussionspapier und freuen uns über Rückmeldungen und Anregungen. Gern führen wir mit anderen Interessierten den begonnen Prozess weiter.

Kontaktadressen:
eva.hadem [at] ekmd.de
Stefan.Maass [at] ekiba.de

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